
ASJlerin berät Bundespräsident Horst Köhler in Bildungsfragen

Im Rahmen des Projektes "Beratung im Schloss Bellevue - Jugendliche diskutieren mit Bundespräsident Horst Köhler zur Bildung" hat die Vertreterin der ASJ Steffi Wüsten aus Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) teilgenommen.
32 Jugendliche aus verschiedenen Verbänden des Deutschen Bundesjugendrings waren zu einem dreistündigen Gespräch im Bundespräsidialamt in Berlin. Steffi Wüsten, Ferienbetreuerin, 17 Jahre jung, wurde von Alex Bühler vom ASB-Bundesjugendbüro interviewt.
Wie muss man denn den Bundespräsidenten begrüßen?
Als er in den Raum kam, sind wir alle aufgestanden und haben "Guten Morgen Herr Bundespräsident" gesagt. Dann haben wir auf seine Antwort gewartet. Er setzte sich zuerst und hat dann eine kurze Ansprache darüber gehalten, was er von dem Gespräch erwartet.
Was hat er erwartet?
Er sagte, er weiß viel zum Thema Bildung von Experten und will nun wissen, was Schüler wissen und für wichtig halten.
Wie war dein Eindruck von dem Gespräch?
Sehr positiv. Er hat sich wirklich interessiert für das, was wir sagen. Das ging nicht in ein Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Er und seine Frau haben sich Notizen gemacht. Er hat auch selbst Fragen gestellt, nicht nur die Moderatorin.
Wer hat am meisten geredet? Jugendliche oder Erwachsene?
Wir Jugendlichen, das war ja auch sein Anliegen. Er hat dann immer kurz zusammengefasst und Parallelen gezogen zu Dingen, die er schon wusste. Aber wir waren die meiste Zeit am reden. Das Gespräch ging drei Stunden lang. Darin gab es 20 Minuten Pause, in der wir mit dem Bundespräsidenten und seiner Frau persönlich reden konnten.
Habt ihr euch verstanden gefühlt?
Ich jedenfalls ja! Die anderen haben das danach auch so gesehen.
Wie viele seid ihr denn in eurer ASJ-Gruppe?
Wir sind sechs Mädchen und zwei Jungen.
Warum wurdest du in deiner ASJ-Gruppe ausgewählt?
Ich war schon öfter auf solchen Veranstaltungen, weil ich mich für Politik interessiere. Außerdem bin ich Schülersprecherin und habe schon mehrere politische Seminare besucht. Die waren vom Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern, vom Landesschülerrat und vom Ministerium für Bildung hier im Land. Die vom Ministerium laden öfter Leute aus dem Schülerrat für Seminare ein. Ich war auch schon in Schwerin im Landtag und im Bundestag zu Gesprächen mit Politikern. Die Gruppe hat mich wohl auch wegen der Erfahrungen demokratisch gewählt.
Wie hat sich deine ASJ-Gruppe und du auf das Gespräch vorbereitet?
Wir haben einen Fragenkatalog geschickt bekommen. Den haben wir erst mal zur Orientierung genommen. Dann haben wir aufgeschrieben, was wir an der Schule und am Bildungssystem in Mecklenburg-Vorpommern und auch in ganz Deutschland ändern würden. Diese Sammlung haben wir dann in Forderungen ausformuliert.
Wie viel Zeit habt ihr euch für die Vorbereitung genommen?
Wir hatten drei Treffen mit jeweils zwei Stunden. Ich habe dann unsere Forderungen zu Hause noch mal ein bisschen überarbeitet.
Was bedeutet Bildung für dich?
Bildung ist für mich wichtig, dass man sich gepflegt unterhalten kann, dass man aufs Leben vorbereitet ist, vor allem für eine bestimmte Arbeit. Bildung braucht man, um Vorkenntnisse für diese Arbeit zu lernen. Deshalb habe ich auch das Gymnasium gewählt, weil man da am meisten vermittelt bekommt, was man später braucht. Das Problem auf dem Gymnasium ist aber, dass praxisbezogener Unterricht fehlt. Das haben wir auch im Gespräch mit dem Bundespräsidenten angesprochen.
Im Gespräch ging es viel um Schule. Was findest du gut an Schule, so wie sie ist?
Ich freu‘ mich auf die Schule, weil ich Leute treffe, mit denen ich mich unterhalten kann. Ich bekomme Wissen vermittelt, das für mich wichtig ist. Man lernt Gemeinschaftsgefühl. Es werden ethische und soziale Werte vermittelt.
Was sind das für Werte, die ihr vermittelt bekommt?
Man muss Teamfähigkeit zeigen. Man muss sich mit schwierigen Situationen auseinandersetzen oder mit kniffligen Situationen. Leben in der Schule ist nicht immer einfach, man muss sich engagieren und mit anderen fair auseinandersetzen. Man lernt, sich selbst zu behaupten und Respekt vor anderen zu haben. Man muss Meinungen anderer tolerieren und akzeptieren können. Schule bietet viele Möglichkeiten, um zu diskutieren, was zu Hause nicht so ist, weil keiner da ist. - Zumindest niemand, mit dem man auf gleichem Niveau und auf gleicher Wellenlänge diskutieren könnte.
Was soll anders werden an der Schule?
Allgemein: Nicht jeder Schulabschluss ist gleich in Deutschland. Das soll anders werden.
Was ist damit genau gemeint?
Wenn einer Hauptschulabschluss in Mecklenburg-Vorpommern hat, wird er in Bayern kaum eine Lehrstelle finden, weil die Bayern denken, dass sein Niveau schlechter ist. Man wird in andere Kategorien eingestuft.
Bildungspolitik sollte nicht Ländersache sein, sondern eine einheitliche Bundessache, weil durch die Länderzuständigkeiten die Ungleichwertigkeit kommt.
Mit Behinderten: Es gibt kaum Schulangebote für Behinderte. Es wäre besser, wenn die Leute nicht ausgegrenzt wären, sondern mit einbezogen in den normalen Schulalltag. Bei uns an der Schule klappt das prima.
Was ich gut finde, ist die Einführung von Ganztagsschulen. In Anklam wird schon versucht das hinzukriegen. Da gibt es viele Angebote am Nachmittag, die man sonst nicht machen könnte. Die Schule bietet diese Möglichkeiten. Man sieht in Amerika es und Frankreich. Allgemein haben wir festgestellt, wo Bildungssysteme, wie z. B. in Finnland oder Schweden, gut funktionieren, da sollte man sich ein Beispiel nehmen, dann ginge es auch mit PISA besser.
Einige von uns waren in den USA und fanden die Ganztagsschule dort gut, es gab viele Möglichkeiten für individuelle Förderung: sportlich, musikalisch oder auch Nachhilfeunterricht.
Wir haben festgestellt, dass das dreigliedrige Schulsystem ein Problem ist. Ich fände es besser, dass die Hauptschule wegfällt. Zum Beispiel Wie es früher in der DDR war. Gemeinsam bis zur achten Klasse und dann Polytechnische Oberschule bis zur Zehnten. Längeres gemeinsames Lernen eben. Gymnasium dann bis zur Zwölften für die, die studieren wollen.
In Mecklenburg-Vorpommern sind 5. und 6. schon Gesamtschulen. Das wird im nächsten Schuljahr an unserer Schule eingeführt. Das finde ich gut. Es gibt mehr Ansporn, wenn nicht alle, die zusammen in der Schule sind, auf dem gleichen Level sind. Dann kann man sich auch an anderen orientieren. Gute Schüler können schwächeren helfen, das fördert auch die Teamfähigkeit. Auch die Jugendlichen aus den anderen Bundesländern hatten alle fast die gleichen Ansichten. Das hat mich überrascht, dass so viele die gleiche Meinung und die gleichen Probleme hatten.
Komisch war nur, das waren fast nur Gymnasiasten. Ich hätte mir eine ausgewogenere Gruppe gewünscht, weil ich denke, dass Real- und Hauptschüler vielleicht noch mehr Probleme mit der Schule haben. So haben sie nicht die Möglichkeit gehabt, das preiszugeben, das ist schade.
Was uns auffiel: Bildung hängt auch vom sozialen Umfeld ab. Zum Beispiel von der Familie. Wenn Eltern z. B. arbeitslos sind, hat das Kind auch keine Motivation, weil es denkt, es bringt nichts, es kriegt sowieso keine Ausbildung. So ein Kind sieht keine Perspektive. Die Klassenstärke ist auch viel zu hoch. Bei so vielen Leuten kann der Lehrer nicht auf jeden Einzelnen eingehen.
Von allem, was ihr beim Bundespräsidenten gefordert habt, was ist für dich selbst das Wichtigste und sollte deshalb unbedingt ganz schnell Wirklichkeit werden?
Das ist eine schwierige Frage - ich würde sagen, dass Bildungspolitik nicht Ländersache sein dürfte, sondern einheitlich in ganz Deutschland. Dadurch haben alle mehr Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Und Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein. Z. B. schließen die hohen Fahrtkosten, die Eltern in Mecklenburg-Vorpommern ab der 10. Klasse selbst zahlen müssen, Kinder aus armen Familien aus. Bei mir an der Schule gab es auch solche Fälle, dass gute Leute nicht mehr in die Schule gehen konnten, weil das Geld gefehlt hat.
Es gibt noch ein Treffen Ende 2007. Da sagt uns der Bundespräsident, was umgesetzt wurde, und was nicht umgesetzt werden konnte und woran das lag. Auf dieses Treffen bin ich echt gespannt.